Delhi – Ajmer: Vom giftigen Teppich und Hobbyingenieuren
Es ist fünf Uhr früh am Morgen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Nagender schiebt die Rikscha vor die schwarzen Eisentore seines Hauses in Delhi. Seine Mutter und ein paar Verwandte schauen ihm dabei zu. Das Brüllen des starteten Motors durchschneidet die Stille des jungen Tages. Nagender schwingt sich auf den Sitz, dreht am Gas und winkt seiner Mutter, als er die Kupplung kommen lässt und langsam auf die Straße rollt. Es geht los. In über 1000 Kilometern und rund drei Tagen will er die weiße Wüste erreichen. Sein heutiges Tagesziel ist das 400 Kilometer entfernte Ajmer.
Es ist ungewöhnlich kühl an diesem Morgen in Indiens Hauptstadt. Ein dichter Nebel liegt über ihr. Die Abgase der Millionenstadt haben sich mit der feuchten Luft gemischt und hängen nun wie ein kalter, nasser Filzeppich über der Stadt. Nagenders Haare wehen im Wind, er zieht sich seine Jacke bis zum Kinn und fröstelt. Mit jedem Atemzug fühlt es sich an, als füllen sich seine Lungen mit einer dünnen Schicht des Filzteppichs. Er atmet lange aus und dreht das Gas bis zum Anschlag auf. Nur schnell raus aus Delhi, denkt er sich.
Schon nach einer halben Stunde Fahrt steckt er fest. Die Rush Hour hat begonnen. Umringt von hupenden Autos, Motorrädern, Lastwagen und Bussen werden Nagender und unsere Rikscha Teil einer Blechlawine, die sich bis zum Horizont erstreckt und nur langsam vorwärts schiebt. Die Abgase, die aus tausenden Auspuffen aufsteigen, sehen aus wie graue Fäden, die den Teppich aus Smog über Stadt noch dichter spinnen.
Nagenders Aufbruchstimmung versiegt im Getümmel und Getöse.
Nach ein paar Stunden hat Nagender die Stadtgrenze endlich erreicht, der Verkehr lichtet sich und er gönnt sich eine erste Verschnaufpause. Während er sein Gesicht vom Staub der Straße befreit und einen Schluck Kaffee trinkt, versammeln sich Neugierige um die königsblaue Rikscha. Unser Gefährt wirkt wie ein Magnet auf die Menschen in Indien. Diese Art von Fortbewegungsmittel kennen sie sonst nur von einfachen Gemüse- und Obstverkäufern aus den Innenstädten. Noch nie haben sie so ein farbenfrohes Exemplar wie unseres gesehen und dann auch noch am Rande eines Highways – niemand will glauben, dass diese Rikscha 60 Kilometer in der Stunde schafft. (Naja – mit Rückenwind…)
Nagender gesellt sich zu den interessierten Männern und sogleich entbrennt eine heiße Diskussion. Die Anwesenden entpuppen sich als wahre Hobbyingenieure und jeder einzelne ist fasziniert vom Blauen Blitz. Jeder möchte einmal Probesitzen bevor Nagender weiter fährt.
Erst als es längst dunkel ist, erreicht Nagender die Stadt Ajmer. 13 Stunden hat er für die 400 Kilometer gebraucht. Nach einem guten Abendessen und einer erfrischenden Dusche lässt er sich sofort ins Bett fallen und berichtet mir ausführlich von seinem ersten Reisetag.
Morgen wird Nagender in Palanpur seinen Freund Himanshu aus Mumbai treffen. Er wird ihn in die Wüste begleiten.
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