Bittersweet Bihar
Auf unserer Rikscha durchqueren wir die Bundesstaaten Jharkand und Bihar. Sie gehören zu den ärmsten Indiens.
Doch auf den ersten Blick sieht diese Gegend für uns gar nicht so arm und trist aus, im Gegenteil. Die Landschaft entlang des Highways und der Landstraßen ist wunderschön: Palmen, Laubbäume und Büsche bilden ein dichtes und sattes Grün, soweit das Auge reicht. Zwischendurch öffnet sich das Dickicht für riesige Reisfelder. In ihnen arbeiten Frauen in bunten Saris, sie sind wie leuchtende Farbkleckse in einem grünen Meer. Auch die Lehmhütten mit den Strohdächern, in denen die Menschen hier leben, sehen schön aus und schmiegen sich sanft in das Landschaftsbild hinein. Dazu scheint noch die Sonne aus einem blauen Himmelszelt, auf dem kleine Schäfchenwolken wandern.
Doch die Heiterkeit und Schönheit trügt. Die Menschen hier sind bitterarm und haben obendrauf kaum Chancen, das zu ändern. In den Lehmhütten, die die Einheimischen aus einer Mixtur aus Schlamm, Kuhdung und Wasser fertigen, leben Familien mit einer Schar von Kindern. Ihr Leben besteht aus dem Kampf um die tägliche Mahlzeit. Es gibt kaum Alte, wenig Erwachsene aber dafür unheimlich viele Kinder. Kein Wunder – die Infrastruktur ist schlecht, es gibt kaum Schulen, Krankenhäuser, Wasserversorgung. Die Menschen wissen nichts von Verhütung, an Hygiene mangelt es. Hier kann schon eine kleine Verletzung oder Infektion tötlich sein. Denn oft liegt das nächste Krankenhaus Kilometer weit entfernt. Die Dörfler sind nicht mobil, müssen jede Strecke zu Fuß zurücklegen. Glücklich sind die wenigen, die ein altes Moped oder ein Fahrrad besitzen.
Weit ab von der nächsten Stadt und dem Highway besuchen wir in einem kleinen Dorf eine Familie. Der Großvater zeigt uns den Lebensmittelpunkt. Es sind drei Lehmhütten, u-förmig angeordnet geben sie in ihrer Mitte einen kleinen Hof frei. In die Hütten kommt man nur gebückt. Eine Feuerstelle, ein paar Blechschalen, ein Topf und eine Kelle, in der Ecke ein paar Decken, das wars, mehr ist nicht zu sehen. Strom gibt es hier keinen. Wasser kommt aus einem Brunnen. Wir sitzen im Innenhof auf einer Pritsche. Ich zähle drei Frauen und dreißig Kinder. Wie groß seine Familie ist, kann der Großvater gar nicht genau sagen. Groß eben, sagt er.
Ein Baby abzugeben
Unsere Anwesenheit macht alle neugierig, dicht haben sie sich zu uns gesellt und schauen uns an, mit ihren braunen Augen. Langsam lockert sich die Stimmung, wir machen Späße mit den Kindern und ein fröhliches Geplauder entsteht. Dann gibt mir eine der drei Frauen ihr Baby auf den Arm. Es ist vielleicht drei Monate alt, schätze ich. Ein kleiner Junge. Er trägt nur ein schmutziges T-Shirt, sonst ist er nackt. Er röchelt, sein Atmen bewegt den Schleim auf seinen Lungen. Mir schießen Tränen in die Augen und sofort denke ich an mein Baby zu Hause. Die Mutter des Jungen lacht und sagt, ich soll ihn mitnehmen. Sie zeigt auf ein anderes Baby, den Zwilling. Sie wiederholt es noch einmal, ich solle das Kind mitnehmen und betont es mit einer Handbewegung, sie habe zwei davon und Kinder sowieso genug sagt sie. Sie meint es ernst.
Mit schweren Herzen fahren wir wieder Richtung Highway. Ich fühle mich elend, so dick und satt, ich schäme mich für das mega Frühstück heute morgen und dass ich mich innerlich geärgert habe, dass es in Bihar kein Café am Highway gibt. Ich schäme mich auch für meine Klamotten und unser Equipement, aber vor allem über das Glück an einem besseren Ort geboren zu sein.
Gangs in Bihar
Nagi drückt aufs Gas. Bevor es dunkel wird, wollen wir in Varanasi ankommen. In Bihar kann es nach Sonnenuntergang gefährlich für uns werden. Aus Armut und Perspektivlosigkeit rotten sich hier viele junge Männer zu Gangs zusammen. Sie hängen am Rand des Highways ab, haben Stöcke, Messer oder Säbel und halten Trucks und Autos an, um Geld zu erpressen. Im Schutz der Dunkelheit wird ihre Gangart rauer, ihr Vorgehen skrupelloser. Wir sehen sie auf unserem Weg. Sie johlen und jauchzen, heizen sich gegenseitig an. Mit ihren Stöcken schlagen sie gegen die Trucks, die sie angehalten haben. Als sie uns sehen jubeln sie bloß laut und lachen über unsere Rikscha. Zum Glück, keiner springt vor uns auf die Straße, wir können passieren.
Nach zwei Platten unterwegs und insgesamt 10 Stunden Fahrt kommen wir an diesem Abend völlig erschöpft in Varanasi, der heiligen Stadt am Ganges an. Die Dämmerung hat gerade begonnen, als wir auf der Dachterasse unseres Hotel sitzen und endlich ein eiskaltes Bierchen trinken!
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